Achim H. Pollert: Woher die Zinsen kommen

Achim H. Pollert (*) über eine Grundlage der Wirtschaft ///—///

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Ronald war Direktionsmitarbeiter bei einer namhaften englischen Grossbank.

Wir kannten uns aus den 80er Jahren, als ich eine Zeitlang bei dieser Bank gearbeitet hatte. Damals war Ronald mein Vorgesetzter. Eigentlich ein harmloser, insgesamt ganz lieber Mensch. Teilweise versuchte er, einen Mangel an persoenlichem Niveau durch Komischheit zu ersetzen – die Briten reden in diesem Fall bekanntlich von Spleen.

Nun war Ronald an diesem Tag, als wir uns wieder einmal begegneten, wieder einmal ganz aufgeregt.

Er legte mir die einige Tage alte Ausgabe des Finanzblatts hin, das er täglich las.

Ronald hatte einen Leserbrief an die Zeitung geschrieben. Das war nicht weiter verwunderlich.

Und die Zeitung hatte ihn veroeffentlicht. Das war durchaus verwunderlich.

Was ich denn dazu meinte. Ausserdem koennte ich nun einen Folge-Leserbrief schreiben, in dem ich ihm recht gäbe. Ganz aus dem Häuschen war mein lieber Freund hier.

In dem Leserbrief hiess es, zur Behebung des Durchhängers der Konjunktur sollte der britische Finanzminister doch ganz einfach das Zinsniveau des Pfund Sterling um einen Punkt senken. Das wuerde der Wirtschaft Ihrer Majestät dann doch unverzueglich einen heftigen
Anschub für einen neuen Aufschwung verleihen. Erwartungsvoll musterte Ronald mich, während ich das las. Und beinahe hatte ich den Eindruck, dass er sich zu fragen schien, warum eigentlich kein anderer kluger Mensch schon lange vor ihm auf diese Idee gekommen ist.

Wenn es ein Problem in der Konjunktur gibt… oder auch im Staatshaushalt – schwuppdiwupp, soll doch die Regierung kurzerhand die Zinsen senken.

Eher kleinlaut wurde Ronald, als ich ihn dann fragte, ob das denn geht.

Kann der britische Schatzkanzler denn tatsächlich die Leitzinsen fuer das Pfund Sterling frei nach Gusto anheben und senken? Ist es in Grossbritannien anders als mit der Federal Reserve Bank für den US-Dollar, der Schweizerischen Nationalbank fuer den Franken oder (damals noch) der Bundesbank fuer die D-Mark?

In der Folge stellte sich heraus, dass mein lieber Freund, der Bankdirektor, ganz einfach nicht wusste, wie das Zinsniveau zustande kommt. Wie weitaus die ueberwältigende Mehrheit der Bevölkerung hatte auch er mehr oder minder wolkige Vorstellungen etwa in die Richtung, dass irgendwo hinter den Fassaden der Bank-Paläste die Zinssätze mehr oder weniger selbstherrlich festgelegt wuerden – und dass die jeweilige Regierung so etwas wie ein diesbezuegliches Weisungsrecht hätte.

Warum es so nicht geht

Wäre es so, wie es sich „das kleine Bärbeli“ vorstellt, dass nämlich die Regierung eines Landes die Zinsen frei nach Gutdünken festlegt oder dass gar die Banken aus selbstherrlicher Geschäftspolitik heraus dies tun, dann hätte das eine Reihe von Folgen, die sehr schnell zum voelligen Zusammenbruch der jeweiligen Wirtschaft und Gesellschaft fuehren wuerden.

Dann hätten beispielsweise die extrem verschuldeten Staaten der industrialisierten Welt ein direktes Interesse daran, das Zinsniveau moeglichst niedrig zu halten. So nämlich mussten die oertlichen Finanzminister umso weniger Zinsen auf die staatliche Schuldenlast bezahlen.

Koennten die Banken etwa die Zinssätze frei bestimmen, dann gäbe es zwischen den Zinsen, die sie selbst kassieren (d.h. fuer Kredite), und den Zinsen, die sie bezahlen (d.h. auf Guthaben), enorme Unterschiede.

Dies hätte in kuerzester Zeit den Zusammenbruch zur Folge. Denn niemand wuerde noch einer Währung trauen, bei der dergleichen vorkommt. Gäbe es keine anderen Währungen, in die das Kapital dann noch fluechten koennte, dann koennte man wieder eine Art von „Flucht in die Sachwerte“ beobachten.

Tatsache ist, dass Zinsen nicht einfach nur die „Leihgebühr“ sind, die einem eine Bank auf dem Sparkonto gutschreibt oder für einen Kredit verlangt.

Vielmehr sind Zinsen einer der ganz grundlegenden und wichtigsten Faktoren der Wirtschaft ueberhaupt.

Unabhängige Zinsfindung

Damit das Geld in einer Volkswirtschaft seine eigentliche Rolle spielen kann, damit eine Währung in der Weltwirtschaft als „hart“, d.h. konvertierbar und stabil gilt, muss das jeweilige Zinsniveau unabhängig und auf Grund objektiv nachvollziehbarer Daten festgelegt werden.

Die unabhängige Festlegung erfolgt durch die zuständige Zentralbank. Der Zentralbankrat, eher ein Experten- als ein politisches Gremium – prüft den Konjunkturverlauf und legt aufgrund von wirtschaftspolitischen Ueberlegungen und der Entwicklung auf dem Kapitalmarkt ihre Geldpolitik fest. Dabei muss sie, wie gesagt, gänzlich unabhängig von Regierung, Parlament und sonstigen Interessengruppen sein. Die Zinsen sind dabei der Mechanismus, mit der diese Geldpolitik am Markt durchgesetzt wird.

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Es gilt: Je niedriger das allgemeine Zinsniveau, desto mehr Geld ist in der jeweiligen Volkswirtschaft verfügbar. Niedrige Zinsen sind billiges Geld. Hohe Zinsen sind teueres Geld.

Läuft also die Konjunktur auf vollen Touren und zirkuliert das Geld sehr schnell, dann besteht die Gefahr der Inflation. Dann wird viel Geld schnell aufgenommen und wieder ausgegeben. Der schnell umlaufende Kreislauf fuehrt dann zur zunehmenden Entwertung des Gelds. Die Alltagserfahrung bestätigt das: In wirtschaftlich guten Zeiten steigen die Preise schneller – alles wird teuerer.

Die Aufgabe einer Zentralbank besteht in diesem Fall darin, dem Wertverfall vorzubeugen, indem sie den Preis fuer das Kapital (d.h. die Zinsen) anhebt. Dadurch werden der Geldumlauf und damit die Entwertung verlangsamt.

Im gegenteiligen Fall, wenn das Geld zu langsam umläuft, zu wenig Mittel fuer Investitionen vorhanden sind und die Wirtschaft ins Stocken gerät, dann wird die Zentralbank die Zinsen senken. Denn niedrigere Zinsen (d.h. billigeres Kapital) haben zur Folge, dass mehr Geld aufgenommen und investiert werden kann.

Bei diesen Leitzinsen handelt es sich grundsätzlich um den Satz, zu dem Geschäftsbanken jeweils Geld bei der Zentralbank aufnehmen koennen. Die Banken sind dabei also nur noch diejenigen, die das ihnen von dritter Seite vorgegebene Zinsniveau an ihre Kunden ueberwälzen.

Natuerlich sind generell am Kapitalmarkt Trends erkennbar. Und als z.B. Alan Greenspan als Vorsitzender der amerikanischen Federal Reserve Bank vor einigen Jahren erklärte, er werde die Dollar-Zinsen so lange „wie noetig“ auf tiefem Niveau halten, bis die US-Wirtschaft wieder anspringe, dann wusste man, dass man einstweilen nicht mit einer Erhoehung der Sätze zu rechnen hatte.

Aber trotzdem hueten die Zentralbanken prinzipiell ihre bevorstehenden Zinsbeschluesse wie Staatsgeheimnisse. Immerhin handelt es sich bei solchen bevorstehenden Entscheidungen um hoch brisante Insider-Informationen.

Zinsphantasien

Das Zinsniveau hängt grundlegend mit sämtlichen anderen Wirtschaftsfaktoren zusammen. Es ist somit Verursacher und Anzeiger wirtschaftlicher Prozesse zugleich.

Als Anleger ist man daran interessiert, eine moeglichst hohe Rendite aus dem Kapital herauszuholen. Somit steckt man ganz natuerlich sein Geld in die Anlageform, die am meisten abwirft.

Wenn nun eine Zentralbank das Zinsniveau anhebt, dann wuerde man als Investor für ein Festgeld bei einer Bank ploetzlich wieder mehr Zins bekommen. Viele Anleger wuerden dann aus anderen Anlageformen aussteigen und ihr Geld in Form von Festgeldern (oder sonstwie festverzinslich) anlegen.

Und weil viele Anleger somit zum Beispiel ihre Aktien an der Boerse verkaufen, wird durch das gesteigerte Angebot der Kurs der Aktien sinken.

Dieser Zinsmechanismus funktioniert universell fuer alle Märkte.

Werden die Zinsen gesenkt, dann werden beispielsweise Hypotheken billiger. Das fuehrt dazu, dass mehr gebaut wird. Und die gesteigerte Nachfrage lässt die Immobilienpreise ansteigen.

Von „Zinsphantasien“ – insbesondere an der Boerse – wird gesprochen, wenn nun Geldanleger auf einen erwarteten Zinsentscheid der Zentralbank spekulieren. Sie rechnen mit einer Anhebung oder Senkung des Zinsniveaus und verhalten sich entsprechend.

Zinsen und Devisenkurse

Ueber das allgemeine Zinsniveau sind die einzelnen Volkswirtschaften miteinander verbunden.

Eine niedrige Zinslast sorgt fuer die gesteigerte Nachfrage nach Krediten. Das fuehrt zu gesteigerter Investition und Produktion. Und das wiederum heizt die Wirtschaft an.

Ein wichtiger Marktmechanismus ist dabei der Devisenkurs.

Das Zinsniveau ist fuer jede Währung verschieden.

Schweizerische Nationalbank, Federal Reserve Bank oder EZB entscheiden autonom und legen das Zinsniveau jeweils fuer diese eine Währung fest, also den Franken, den Dollar und den Euro.

Hebt nun die Federal Reserve in den USA das Zinsniveau fuer den Dollar an, dann werfen Geldanlagen in US-Dollar mehr Ertrag ab. Und da Kapital immer die beste Rendite sucht, steigen in diesem Fall viele Anleger aus anderen Währungen aus, um in Dollar zu investieren.

Auf den Welt-Devisenmärkten werden dann also andere Währungen verkauft und Dollar gekauft. Aufgrund der Gesetze von Angebot und Nachfrage steigt so der Kurs des US-Dollar an, während die Kurse anderer Währungen sinken.

Niedrige Zinsen sorgen tendentiell also auch fuer niedrige Wechselkurse der betreffenden Währung. Das wiederum hat seine Rueckwirkungen auf die Exportwirtschaft.

„Export-Weltmeister“ wie Deutschland oder Japan wären prinzipiell an niedrigen Wechselkursen und folglich niedrigen Zinsen interessiert. Dadurch werden die exportierten Produkte im Ausland billiger.

Dem gegenueber sind z.B. rohstoffarme Länder, die grosse Mengen importieren muessen, eher an einer „starken“ Währung (d.h. hohen Wechselkursen) interessiert. Denn umso billiger werden die vom Ausland eingefuehrten Rohstoffe (z.B. Erdoel).

Die Zinserwägungen einer Zentralbank bewegen sich nicht zuletzt auch zwischen diesen beiden aussenwirtschaftlichen Grenzpunkten.

Nicht selten gerät der Zentralbankrat hier in eine Zwickmuehle. Einerseits koennte die innere Wirtschaftslage (z.B. sehr schwacher Wirtschaftsverlauf, monstroese Arbeitslosenzahlen, schwache Produktion, Inflation nahe bei null) dringend anzeigen, das Zinsniveau einer Währung zu senken. Das wuerde die Wirtschaft beleben und die Arbeitslosigkeit eingrenzen. Aber eine solche Zinssenkung wuerde eben auch den Aussenwert der Währung sinken lassen. Und das ist je nach der jeweiligen Lage auf den Devisenmärkten gar nicht so ohne weiteres moeglich.

Denn wenn der Verfall eines Devisenkurses einmal eingesetzt hat, koennen die entsprechenden Leitzinsen nicht einfach noch weiter gesenkt werden.

In der Schweiz, wo der Franken auf Grund grosser internationaler Nachfrage stets sehr hoch im Kurs stand, konnte man sich somit traditionell sehr niedrige Zinsen leisten – was wiederum gut fuer die inländische Konjunktur war.

Zinsen und Börse

Aus verschiedenen Gruenden beguenstigen niedrige Zinsen den Anstieg der Aktienkurse.

Auf Grund niedriger Zinsen ist in der Wirtschaft insgesamt mehr Liquidität vorhanden. Diese zusätzlich verfuegbaren Mittel foerdern die Situation der an der Boerse kotierten Unternehmen. Deren Wert steigert sich und damit auch der Kurs ihrer Aktien.

Spekulation auf Grund einer Zinsphantasie hiesse deshalb fuer den einzelnen Anleger grundsätzlich: Mehr in Aktien investieren, wenn eine Zinssenkung in Aussicht ist. Tatsächlich lässt sich beobachten, dass die Boersenkurse vor der Sitzung des Zentralbankrats jeweils etwas anziehen – FALLS eine Zinsabhebung ohnehin in der Luft liegt. Zinsphantasien eben – die oft aufgehen.

Zinsen und Festverzinsliche

Festverzinsliche Anlagen – auch Obligationen – sind Schuldverschreibungen von Unternehmen, die sich Geld direkt vom Publikum verschaffen anstatt Kredite bei Banken aufzunehmen. Ihre Laufzeit beträgt in der Regel mehrere Jahre, und meist ist der gezahlte Zinssatz im voraus festgelegt. Der Eigentuemer einer Obligation kann diese während der Laufzeit verkaufen.

Der Kaufpreis fuer das Papier richtet sich nach dem derzeit gueltigen Marktzins. Liegt der fest Zins der Obligation deutlich ueber dem allgemeinen Zinsniveau, dann wird ihr Kaufpreis klar ueber dem eigentlichen Nennwert liegen. So etwa wuerde der Kurswert von „alten“ festverzinslichen Papieren durch eine Zinssenkung deutlich ansteigen.

Wer einen Kursgewinn realisieren will, sollte somit Obligationen aus Hochzinszeiten in Niedrigzinszeiten verkaufen – ein Geschäft, das in dieser Art vielleicht nicht so ertragreich, jedenfalls aber ungleich viel sicherer wäre als etwa eine Boersentransaktion.

Fuer den einzelnen Kapitalanleger sind die Zinsen der generelle Indikator fuer die Marktentwicklung. Selbstverständlich werde Märkte auch noch von anderen Faktoren beeinflusst. Aber durch die fortlaufende Beobachtung der Zinsentwicklung (auch in den verschiedenen Währungsgebieten) bewahrt man sich zumindest vor den groebsten Schnitzern bei der Planung des Portefeuilles.

Was Zinsen bewirken

Es gelten fuer den Einfluss des Zinsniveaus in einer Währung auf die Wirtschaft insgesamt die folgenden Grundregeln:

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Zinsen steigen:
– allgemeine Wirtschaftsentwicklung wird gedämpft
– Wechselkurs steigt
– festverzinsliche Papiere mit niedrigerem Zins sinken
– Boersenkurse sinken
– Immobilienpreise sinken
– Rohwarenpreise sinken
– Inflation geht zurueck

Zinsen sinken:
– allgemeine Wirtschaftsentwicklung wird belebt
– Wechselkurs sinkt
– Papiere mit hoeherem Festzins steigen
– Boersenkurse steigen
– Immobilienpreise steigen
– Rohwarenpreise steigen
– Inflation steigt an

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Achim H. Pollert Autor, Publizist, Berater; Schwerpunkte: Wirtschaft, Psychologie, Wissenschaft, Personalwesen, Geschichte/Politik; lebt in der Schweiz und Frankreich; spricht Deutsch, Englisch, Französisch fliessend
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