Achim H. Pollert: Wer wen mag… und warum…

Achim H. Pollert (*) über die Frage der persönlichen Beliebtheit

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Das Ganze fängt an im urpersönlichen Bereich.

Ich habe schon immer die Erfahrung gemacht, dass ich selber bei vielen meiner Mitmenschen beträchtliches Hasspotential mobilisiere. Menschen, denen ich nichts getan habe, mit denen ich kaum je geredet habe, benehmen sich so, als wäre ich die Ursache für ihr Lebensunglück. Da gibt es immer mal wieder erzürnte Zuschriften von Leuten, denen ich gerade mal eben zwischen Tür und Angel die Hand geschüttelt habe. Da wird hinter meinem Rücken böse gewettert über Dinge, die ich nicht getan oder versäumt habe. Da wird mir die Schuld zugewiesen für Dinge, mit denen ich nichts zu tun habe.

„Und überhaupt…“

… habe ich gefälligst schuld zu sein.

Das ist schon so gewesen in Schulzeiten. Etwa im Kreise der Lehrerschaft. Wenn der Herr Doktor reichlich Behauptungen über mich aufstellte und kolportierte. Oder wenn ich heftig eine geschmiert bekam, weil ich zufällig an einem Ereignis vorbeigelaufen bin.

Das mit dem Schlagen hat sich dann erledigt, als ich mit etwa 12 Jahren die 1.70 m-Marke überstieg und die sich nicht mehr so ohne weiteres trauten. Das mit den Gemeinheiten und dem sehr ausgeprägten Hass ist geblieben.

„Beim ersten Mal, da tut’s noch weh…“

… wie es so schön heisst in dem alten Hans-Albers-Film: „… da glaubt man noch, dass man es nie verwinden kann. Doch mit der Zeit, so peu à peu, gewöhnt man sich daran.“

Soll heissen: Ich lebe damit eigentlich ganz gut. Denn einerseits komme ich ganz zurecht ohne diese Menschen, die mich so ohne erkennbaren Grund so sehr hassen. Und andererseits stehen dieser Fraktion auch viele Menschen gegenüber, die so hellauf begeistert sind von mir. Die mich loben über den Schellenkönig, obwohl sie noch nie von mir gehört haben. Die mir gerne ihre Freundschaft anbieten. Die mich um Rat fragen.

Wohlgemerkt: Ich rede nicht von Menschen, die einen konkreten Anlass für ihre jeweilige Haltung haben.

Ich rede also nicht von dem Menschen, der vielleicht eine echte Begründung zur Annahme hat, ich hätte ihm eins hineingedrückt… und der deswegen sauer auf mich ist. Ich rede nicht von dem Menschen, der meine manchmal recht ironische Art und Ausdrucksweise als verletzend und besserwisserisch einstuft und deshalb ein Problem mit mir hat.

Und ebenso rede ich nicht von dem Menschen, der z.B. meine Texte gut findet und deswegen eine hohe Meinung von mir hat.

Sondern eben von denjenigen, denen ich vielleicht kaum zu tun habe oder denen ich wirklich keinen Grund gegeben habe, mich zu hassen oder zu lieben. Bei denen sozusagen wie von selbst ein Urteil entstand in dem Augenblick, in dem ich zur Tür herein gekommen bin.

Natürlich verhehle auch ich nicht, dass diejenigen meiner Eitelkeit grosse Nahrung geben, die mich vom ersten Augenblick an mögen. Allerdings freue ich mich noch mehr über jemanden, der mich als Mensch ernst nimmt und z.B. meine Leistungen – sagen wir: mein geschriebenes Werk – schätzt.

Es gibt viele Menschen wie mich, die ein Publikum polarisieren. Am einen Pol die überschäumende Begeisterung, am anderen Pol der abgründige Hass.

… wollen wir hoffen, dass auch in Zukunft „in der Mitte“ – ausreichend weit weg von den beiden Polen – genügend Menschen übrig bleiben, die normal mit mir umgehen können.

Umgekehrt ist auch gefahren…

Auch wenn ich mich im Lauf der Jahre, so peu à peu, damit abgefunden habe, habe ich diese Polarisierung lange Zeit nicht recht verstanden.

Wie gesagt: Der Beginn im Urpersönlichen.

Wohl aber habe ich über die Jahre aber immer wieder auch festgestellt, dass Leute sich grosser Beliebtheit erfreuen und dass ich dies nicht verstehen konnte. Das gilt für Personen aus dem näheren Umfeld ebenso natürlich für die grossen Prominenten.

Als Nicht-Amerikaner habe ich dies nicht näher zu kommentieren.

Aber ich habe emotional die Akzeptanz nie verstanden, der sich George Walker Bush in der amerikanischen Oeffentlichkeit erfreute. Ich habe nicht nur nicht verstanden, dass dieser Mann von seinen Mitbürgern zum Präsidenten gewählt wurde. Vielmehr habe ich nicht verstanden, wieso er auch nur eine einzige Stimme bekommen hat, wenn der Gegenkandidat z.B. Al Gore hiess.

Dies nur ein Beispiel von vielen.

Das gilt ähnlich für so manche äusserst beliebte Sportler, TV-Moderatoren, Schauspieler u.s.w. Oft habe ich grosse Mühe, die Begeisterung nachzuvollziehen, derer sich viele dieser Menschen im Publikum erfreuen. Sehr oft auch bei den „Legenden“ (etwa Schauspielerinnen), deren Ruhm dann noch Jahrzehnte nachwirkt.

Dabei ist es meist nicht so, dass ich besondere Antipathien gegen den betreffenden Menschen empfinden würde. Vielmehr ist es ähnlich wie beim Hass, den manche mir entgegen bringen: Aus meinem Bauchgefühl heraus verstehe ich es einfach nicht.

Ich kann den Menschen nicht nachfühlen, die dann jeweils so empfinden.

Wenn es kippt…

Noch auffälliger ist dies, wenn ein solches Volksempfinden dann merklich kippt.

Auch hier zwei Beispiele von Politikern.

Helmut Kohl wurde über lange Jahre seiner öffentlichen Laufbahn hinweg von vielen Menschen als recht komischer Vogel wahrgenommen. Eher gehemmt und linkisch im Auftreten. Sein nuscheliges, recht unbeholfenes Deutsch sorgte vielerorts für Kopfschütteln. Lange Jahre galt Helmut Kohl in der öffentlichen Wahrnehmung schlicht als dumm.

Heute schon beinahe vergessen sind beispielsweise die Kohl-Witze von damals, die alle nahelegten, er wäre ausgesprochen naiv und geistig minderbemittelt. Ganze Witzheftli wurden damals rund um diesen Politiker publiziert.

Das andere Beispiel – noch krasser – ist Hans-Dietrich Genscher. Dieser Politiker war zu Beginn der 80er Jahre in der öffentlichen Wahrnehmung beinahe schon ein „Polit-Gauner“. Durch den Wechsel der Koalition hatte Genschers Partei, die FDP, den Sturz des damaligen „Nationalheiligen“ Helmut Schmidt verursacht.

Spätestens von da an haftete diesem Politiker der Ruf des „Königsmörders“ an, des grundsatzlosen Machtmenschen, der vor nichts zurückschreckt, um auch ja seinen Posten und sein eigenes Wohlergehen zu sichern. Eine Un-Person par excellence.

Wie bekannt, kippte das öffentliche Ansehen der beiden Herren im Jahr 1989. Und zwar massiv.

Das vorhergehende Image der beiden Herren dürfte heute, nach den Jahrzehnten, weitgehend in Vergessenheit geraten sein.

Es war die Zeit des Wandels. Der Ostblock brach zusammen. Die Menschen flüchteten Richtung Westen. Die Menschen forderten von ihren Staatsführungen die selbstverständlichen Rechte. Niemand wusste so recht, wie es weitergehen sollte.

Für die Oeffentlichkeit kippte das Ansehen von Kohl, als er irgendwo in der damaligen DDR auf einer Redner-Tribüne stand und in seinem vernuschelten Deutsch erklärte, sein politisches Ziel, wäre die „Einheit unserer Nation“.

Und das Ansehen von Genscher kippte, als er in der westdeutschen Botschaft in Prag auf den Balkon trat und den Tausenden von geflüchteten und im Botschaftsgarten armselig kampierenden DDR-Bürgern erklärte, Ihre Ausreise könnte erfolgen.

In beiden Fällen brachen die Zuhörer – logischerweise – in frenetischen Beifall und Jubel aus (bei Genscher schon legendär, dass das Ende seines Satzes im Hurra-Geschrei unterging).

Von da an war Kohl für die Oeffentlichkeit der ausgesprochen kompetente Polit-Manager, der schlaue Fuchs, der die Fäden in der Hand hält und der weitblickend die Dinge ins Lot rückt.

Und Genscher war von da an der weise Mann an der Spitze, der analytische Kopf, der den klaren Einblick in das gesamte Weltgeschehen hat, der Jahrhundert-Politiker, der mit seinem Urteil alle anderen überragt.

Beide Herren waren für die Oeffentlichkeit mit einem Schlag vom Provinz-Dummbeutel bzw. vom Polit-Geschäftlimacher zum Grandseigneur des Weltgeschehens geworden. Beide Ikonen der Politik des 20. Jahrhunderts.

Und zwar nicht nur in der Ex-DDR oder überhaupt in Deutschland, sondern weltweit.

Wie kann man den Menschen sehen?

Ich habe das damals, wie gesagt, nicht recht verstanden.

Wie konnte sich das Ansehen, nennen wir es die Beliebtheit, eines Menschen so schnell und so nachhaltig ändern?

Inzwischen ist mir klar, was da passiert.

Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten, wie wir als Menschen aus dem Bauch heraus einen anderen besonders mögen oder achten können. Und wahrscheinlich ist dies etwas, das ganz tief in unserer Natur verankert ist. Wahrscheinlich ist das schon so gewesen, als unsere Vorfahren vor einer halben Million Jahren noch in Horden als Halbaffen durch die Steppen zogen.

Entweder ich kann mich – emotional – mit einem anderen identifizieren. Der ist dann so wie ich. Der macht ähnliche Erfahrungen im Leben. Der hat ähnliche Ansichten wie ich. Der hat ähnliche Wünsche und ähnliche Verhaltensweisen wie ich.

Irgendwie ist er ich.

Oder ich kann emotional zu jemandem aufblicken. Der ist dann mein Häuptling, das überlegene Wesen. Der hat einen besseren Einblick in die Natur der Dinge. Der steht über den Dingen, die mich in meinem Alltag bewegen. Der beherrscht das Leben und kann alles viel besser einschätzen als ich.

Der weiss genau, was gut und richtig, falsch und schlecht für mich ist.

Um es in der Sprache von C.G. Jung auszudrücken: Möglicherweise zwei Archetypen, die man im anderen Menschen sehen kann.

Und daraus entstehen dann Spannungsfelder.

So wird die Beliebtheit eines Menschen durchaus davon abhängen, wie sehr sich die Oeffentlichkeit mit ihm identifizieren kann, wenn er beispielsweise nach Dingen strebt, von denen ich meine, dass sie „mir und meinesgleichen“ nicht zustehen. Oder wenn er unter Dingen leidet, vor denen ich auch Angst habe.

Beispielsweise bei der Blondine, die als Filmstar zwar in Saus und Braus lebte, die aber angeblich immer so sehr darunter gelitten hat, dass alle nur am Gewackel ihres Arsches, nicht aber an ihr als Person interessiert waren.

Und ebenso wird die Beliebtheit eines Menschen sehr davon abhängen, ob viele ihn für einen Häuptling halten, wenn er sich beispielsweise bestimmten Regeln, Konventionen und Vorschriften widersetzt. Oder wenn er plötzlich dabei ertappt wird, dass er solche Regeln im vorauseilenden Gehorsam schnell erfüllt hat, um sein Fortkommen zu fördern.

Beispielsweise beim gar so beliebten Politiker, wenn herauskommt, dass er seitenweise Text geklaut hat, damit er sich „Doktor“ nennen darf, weil der Titel eben erwartet wird.

Aus diesem Spannungsrahmen von Identifikation und Unterordnung bildet sich dieses diffuse Element der öffentlichen Beliebtheit, die eben hoch oder niedrig ist.

Die begeisterte Masse

Unter diesem Aspekt aber versteht man, was mit dem öffentlichen Ansehen von unseren Beispielen Kohl und Genscher 1989 passiert ist.

In dem Augenblick, in dem die beiden vor der Oeffentlichkeit standen, etwas verkündeten und dafür von einer grösseren Volksmasse begeistert gefeiert wurden, wurden aus den vorher mittelmässigen Gestalten plötzlich Häuptlinge. Wer in historischer Stunde von seinen Mitmenschen spontan so begeistert gefeiert wird, ist ein Anführer. Ein Anführer, der den tieferen Einblick in die Zusammenhänge hat. Ein Anführer, der es besser weiss und auf dessen Kenntnisse und Fähigkeiten man sich verlassen kann.

Und diese beiden Häuptlinge hatten auch gleich schon die entsprechenden Machtpositionen inne, die der Erwartungshaltung der Oeffentlichkeit entspricht.

So änderte sich schlagartig ihr Ansehen, ihre Beliebtheit.

Sie wurden zu Staatsmännern von ausserordentlichem Format. Weitblickend. Ueberragend. Unerreichbar. Vom vorherigen Image blieb bei beiden von ihnen nichts in Erinnerung.

Weil viele plötzlich das Gefühl hatten, sie könnten zu ihnen aufsehen.

Deshalb!

Zieht man diesen Aspekt von Identifikation und Aufschauen in Betracht – natürlich jeweils verbunden mit der individuellen Situation -, dann beginnt man Dinge zu verstehen.

Dass George Bush eben einer war, mit dem sich eine genügend grosse Zahl von Amerikanern identifizieren konnte. Dass er schwere Probleme mit der Beliebtheit wahrscheinlich erst bekommen hätte, wenn er sich im Amt dann vom bekennenden Baseball-Fan, Befürworter der Todesstrafe und ahnungslosen Simpel zur Rolle des ernsthaften Intellektuellen gewandelt hätte.

Dass Helmut Schmidt, weil er ein Häuptling ist, zu dem die Menschen aufschauen können, schon immer diesen Ruf hatte, auch die grössten Probleme der Menschheit angehen und lösen zu können. Obwohl er ja in all den Jahrzehnten nicht einmal genug Format und Willensstärke aufbringen konnte, um mit der eigenen Tabaksucht fertig zu werden.

Dass in der öffentlichen Wahrnehmung aus der beinharten Unperson und dem furzkonservativen vatikanischen Strippenzieher Ratzinger ein hoch geachteter Führer der Welt wurde, als er im weissen Gewändli in Rom auf dem Balkon stand.

Selbst im ganz direkten Umfeld ist diese Wirkungsweise von Identifikation und Unterordnung zu beobachten und macht Ereignisse verständlich. Wenn etwa Arbeitskollegen einem zunächst mit Hass und Ablehnung begegnen. Geht man darauf nun allerdings nicht ein, kommt es immer mal wieder vor, dass genau diese Menschen nach einer Weile ganz überraschend anfangen zu schleimen. Der vor drei Monaten noch herumgeplärrt und die Auseinandersetzung gesucht hat, wird dann schlagartig so scheissfreundlich und schmiert einem Honig ums Maul.

Ein Erklärungsmodell

Möglicherweise ist das – wie häufig in psychologischen Fragen – nicht die absolute Wahrheit, sondern nur ein Erklärungsmodell von anderen möglichen.

Wichtig daran ist jeweils, was man ganz individuell daraus macht.

Wichtig ist, dass man mit diesem Modell Dinge erklären kann, die einem vorher vielleicht schwer verständlich erschienen sind.

Und – vor allem – ist wichtig, dass man auch sich mit einem solchen Erklärungsmodell prüfen kann, inwieweit man selber als Mensch eigentlich auch diesen Mechanismen erlegen ist. Findet man manche Leute toll? Oder zum Kotzen? Und hat man eigentlich keine rechten Gründe dafür?

Vielleicht ein erster Schritt in die mentale und emotionale Unabhängigkeit…

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Achim H. Pollert Autor, Publizist, Berater; Schwerpunkte: Wirtschaft, Psychologie, Wissenschaft, Personalwesen, Geschichte/Politik; lebt in der Schweiz und Frankreich; spricht Deutsch, Englisch, Französisch fliessend
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